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Vereine und Verbände unterwerfen sich dem Diktat der Nazis

Veröffentlicht am 04.05.2013 in Ortsverein

Aufstellung in Reih und Glied unter dem Maibaum auf der Bleiche

Der „Tag der deutschen Arbeit“ war einer der wichtigsten Feiertage im Festkalender der Nazis. (Foto: Stadtarchiv Bad Waldsee)

Auch im gesellschaftlichen Leben von Waldsee übernimmt die neue Bewegung die Macht – 1. Mai wird besonders gefeiert

Bad Waldsee: Ein Leiterwagen mit Getränken, eine Radtour mit der Familie, eine Wanderung mit Freunden: Das waren am Mittwoch für viele Waldseer die Zutaten für einen 1. Mai nach ihrem Geschmack. Der Feiertag, dieser Tag der Arbeit, hatte vor 80 Jahren eine gänzlich andere Choreografie, inszeniert von den Nationalsozialisten, die nicht nur im Gemeinderat zu dieser Zeit die Macht Stück um Stück an sich rissen.

In seinem Text „Das Jahr 1933: Auch Waldsee wird braun“, erschienen 1983 und in gebundener Form im Buch „Bad Waldsee – Zeugnisse aus Zeit und Zeitung“ ein Jahr später, hat sich Emil Kaphegyi bereits zum 50. Jahrestag der Reichstagswahl von 1933 mit den braunen Anfängen der Stadt Waldsee beschäftigt. Der Historiker und langjährige Bad Waldseer Gymnasiallehrer geht der Frage nach, wie die Nazi in so einer kleinen Stadt wie Bad Waldsee Fuß fassen konnten. Seine Erkenntnis: Nicht nur politisch, auch gesellschaftlich verbreiteten die Nazi ihre Ideologie. Ein wichtiger Aspekt hier ist die Gleichschaltung der Vereine und Berufsverbände. Kaphegyi dazu: „In diesen Bereichen kam die NS-Ideologie besonders gut zum Vorschein.“

Kaphegyi zitiert in seinem Text aus einem Aufruf des Kulturverbands „Deutsche Bühne“ vom September 1933: „Deutscher Volksgenosse!“, so die Ansprache an jedermann, „Der völkische Staat ist durch die Tat Adolf Hitlers gerettet worden. Alle öffentlichen Anstalten, alle staatlichen Einrichtungen sind in den Händen des Nationalsozialismus. Die äußere Machtergreifung ist vollzogen. Nun geht es an den inneren Aufbau unseres Staates, an die Erfassung und Durchdringung des deutschen Menschen durch einen neuen deutschen Menschen, mit einem neuen deutschen Volksideal, mit einer einheitlichen, von allen Fremdkörpern geeinigten Kultur.“ Für Emil Kaphegyi sind solche Quellen, die er zum Großteil den damaligen Ausgaben der Lokalzeitung „Waldseer Tagblatt“ entnommen hat, besonders auch unter dem Aspekt der Wortwahl bedeutend. „Die Quellen bringen den Sprachduktus und die Atmosphäre der damaligen Zeit zum Vorschein“, sagt er.

Gleichschaltung der Verbände

Anhand der Zeitungsartikel zeichnet Kaphegyi ein umfassendes Bild, wie sich die Nazis in den Verbänden und Vereinen von Bad Waldsee die führenden Positionen nahmen. Bereits im Mai 1933 vollzog sich die Gleichschaltung des Handels- und Gewerbevereins. Zur Hauptversammlung im „Grünen Baum“ waren aus Aulendorf der NSDAP-Kreisgeschäftsführer und der Leiter des Kampfbundes für den Mittelstand gekommen. In ihren Reden, mit denen sie die Notwendigkeit der Gleichschaltung und der Gründung eines örtlichen Kampfbundes propagierten, heißt es unter anderem: „Großfinanzkapital und marxistisches Proletariat sind die größten Feinde gewesen. [...] Der Mittelstand muss wieder größere Bedeutung gewinnen. deshalb ist die Gleichschaltung aller Verbände notwendig.“

Hier wie auch bei den folgenden Sitzungen von Verbänden und Vereinen, läuft die Gleichschaltung immer nach dem selben Prinzip ab: Sind die Spitzenposten mit NSDAP-Mitgliedern bereits besetzt, können diese bleiben. Sind sie es nicht, werden andere Personen eingesetzt. So ist das einen Tag später beim Treffen der Schuhmacher- und Wagnerinnung und letztlich auch beim Bezirksbauernverband. Bei dessen Versammlung in Aulendorf sollte die kürzlich gewählte Vorstandschaft zwar bleiben, aber das sei aus „prinzipiellen Gründen“ zugunsten der „neuen Bodenlegung“ nicht möglich – so zitiert Kaphegyi aus dem Zeitungsbericht der Sitzung. Auch bei der Versammlung des Wirtevereins im Juni in der „Traube“ wird der Ton schärfer. Der Redner droht mit dem Beispiel eines Saboteurs, Inhaber einer bekannten Autowerkstatt, der in Schutzhaft genommen wurde. „Derjenige, der nicht mit uns geht, ist nicht mit uns und der Gesamtheit des Volkes...Saboteure müssen verschwinden.“ Die Drohung wirkt, 40 Wirte treten der neuen Vereinigung bei. Eine Ausnahme bildet laut Kaphegyi der Katholische Arbeiterverein. In der Generalversammlung am 14. Juni in der „Traube“ kommt es zu freien und geheimen Wahlen, und auch im Herbst ist noch kein Wort von Gleichschaltung oder nationalen Reden zu lesen.

Bei der Sitzung der Landwirtschaftlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaft wird deutlich, was Gleichschaltung nicht bedeutet. Der Vorsitzende definiert, dass in Ausschüssen und Aufsichtsrat nicht gleichviele Vertreter aller Parteien und Interessensgruppen sein sollten. Manche sind daraufhin freiwillig zurückgetreten, Wahlen fanden per Zuruf statt. Was Gleichschaltung stattdessen bedeutet, hatte er vorher klargestellt: „Keine blöde Gleichmacherei wie beim Bolschewismus, der alles zerschlägt, was noch Sinn und Lebenswert hat, und nicht vor Mord und Totschlag zurückschreckt. Denkt man an Russland, so ist dem Führer Adolf Hitler für die Errettung vom Bolschewismus zu danken.“ Kaphegyi merkt an, dass mit Gleichmacherei auch die Demokratie gemeint ist. Und im Bolschewismus hatten die Nazi und die katholische Kirche einen gemeinsamen Feind.

Gleichschaltung der Vereine

Die Gleichschaltung der Turngemeinde geht einfach vonstatten, schreibt Kaphegyi. Fußballvorstand, TG-Vorstand und Turnwart sind auch im politischen Leben Waldsees rührige Leute – alle in der Partei, einer sogar in der NS-Fraktion. Allerdings bringt die neue Bewegung auch ihre Probleme mit sich, wie Ruderverein und Turnverein beklagen. Denn: Statt zum abendlichen Training und sonntäglichen Wettkampf mussten die Sportler zu viel unter der neuen Fahne marschieren. Zwei Neuerungen schaffen Abhilfe: Die Gründung eines SA-Turnertrupps, wodurch die Mitglieder bei anderen NS-Formationen keine Anwesenheitspflicht mehr hatten, sowie die neu eingeführte Disziplin „Wehrsportkampf“, der laut Zeitung „kolossalen Zuspruch“ erfuhr und zu dem Übungsmärsche mit Gepäck, Ordnungs- und Geländeübungen, Kleinkaliberschießen, Nachrichtendienst und Morsen gehörten. „Der Sport wurde dazu genutzt, die jungen Leute vormilitärisch zu bilden“, sagt Kaphegyi dazu.

Gegen die Gleichschaltung des gesellschaftlichen Lebens wird in der Presse nirgends von Widerstand berichtet, schreibt Kaphegyi in seinem Text. Vielleicht habe es Bewegungen im Hintergrund gegeben und dir Zeitung habe dies nicht veröffentlichen dürfen. „Jedoch auch befragte Zeitgenossen meinen, die neue Bewegung sei mit solcher Wucht in die Gesellschaft eingebrochen, dass wenige ernsthaft daran dachten, sich dagegen zu stemmen“, so Kaphegyi. „Die Ideen und der Schwung überzeugten am Anfang mehr Menschen, als man das heute wahrhaben will.“

So drang die Nazi-Ideologie in die Verbände und Vereine ein, aber suchte sich auch ihren direkten Weg ins kulturelle und private Leben der Bürger. Die erste Großveranstaltung unter brauner Regie in Waldsee lief laut Kaphegyi am 21. März 1933, am „Tag von Potsdam“ ab. Die 640 Schüler aller Schulen ziehen, „vaterländischen Lieder“ singend, zur Stadthalle, wo Hakenkreuzfahnen wehen. Am Abend folgen Fackelmärsche, geleitet von SS und SA. Ämter, Gemeinderat, Schulen und Vereine marschieren, singen das Horst-Wessel-Lied und skandieren „Sieg-Heil“. Zurück an der Stadthalle leitet der Ortsgruppenleiter der NSDAP eine nationale Kundgebung. „Ämter und Schulen mussten mitmarschieren“, sagt Kaphegyi dazu, „die Bevölkerung wurde dazu eingeladen.“

Aufmärsche am 1. Mai

Und so schließt sich der Kreis zur Maifeier, der Hauptfeier im Festkalender der Nazis, wie Kaphegyi sagt. Dass diese Feier bereits am 1. Mai des Jahres 1933 fest in Nazi-Hand war, zeigt der Festablauf. Zur Feier des „Tags der deutschen Arbeit“ benutzten die Nazis Tradition und Brauchtum und spannten die Kirche für ihre Zwecke ein, schreibt Kaphegyi. Girlanden, Wimpel und jede Menge Hakenkreuzfahnen schmücken die Stadt, die als Kulisse für Aufmärsche dient. Der Feldgottesdienst auf der Bleiche beginnt mit einem Choral der SA-Kapelle beginnt. Die Predigt des Stadtpfarrers kreist um den „Sinn des Feiertags nach dem Willen der Regierung und im Lichte des Christentums.“ Die geistige und sittliche Erneuerung müsse bei jedem anfangen. Machtvoll und kraftvoll soll sie durchgeführt werden. Und der Pfarrer sagt, er erflehe den Segen des Allmächtigen, dass es dem Führer gelingen möge, Arbeit und Brot zu schaffen. Welchen Beitrag die Kirche dazu leistete, dass auch Waldsee braun wurde, behandelt der folgende vierte Teil unserer Serie.

Wie bedeutend dieser Feiertag damals war, zeigt das Beispiel einer kleinen Gemeinde aus der Umgebung von Waldsee. In einem Artikel unter dem Titel „Hitler auf dem Marsch“ im Waldseer Tagblatt vom 9. Mai heißt es, die Gemeinde schäme sich, keine mächtige Kundgebung auf die Beine gebracht zu haben. Doch beschreibt der Redakteur, dass die Hitler-Begeisterung auch dort im Stillen blühe, denn er fand auf einem Hügel eine Hitler-Eiche gepflanzt und den Hügel selbst in „Hitlerhöhe“ umbenannt.

von Kara Ballerin