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Rudolf Bindig richtet sich in Brief an Winfried Kretschmann

Veröffentlicht am 06.01.2021 in Aktuelles

Nach dem virtuellen Besuch von Winfried Kretschmann im Landkreis Ravensburg hat sich unser Fraktionsvorsitzender im Kreistag, Rudolf Bindig in einem Brief an den Ministerpräsidenten gewandt. Für den konkreten Wortlaut des Briefes bitte auf "mehr lesen" klicken. 

Sehr geehrter Herr Kretschmann, am 10.12.2020 haben Sie einen „virtuellen Besuch“ im Landkreis Ravensburg gemacht, an dem ich als Vorsitzender der SPD-Fraktion im Kreistag teilgenommen habe. Im Laufe der Veranstaltung habe ich Sie auf das Problem des Kiesabbaus in der Region und insbesondere auf den erheblichen Kiesexport aus der Region in die Schweiz und nach Vorarlberg hingewiesen. Ich habe Sie darüber informiert, dass der Kreistag am 20.Oktober 2020 dazu mehrheitlich einen Antrag der SPD-Fraktion beschlossen hat, der sich inhaltlich an die Landesregierung wendet. Der gefasste Kreistagsbeschluss ist nach unseren Informationen vom Landrat, Harald Sievers, bereits an ihre Regierung weitergeleitet worden. Ich lege den Antrag diesem Schreiben nochmals bei. Auf den Text des Beschlusses und die Begründung nehme ich Bezug.

Ich habe Ihnen bei Ihrem virtuellen Besuch die Kernanliegen, wie sie in dem Antrag dargestellt sind, vorgetragen. Weiter habe ich gesagt, dass die Bürgerinnen und Bürger der Region nach vielen Jahren der Inaktivität früherer Landesregierungen nun endlich erwarten, dass der Kiesexport in der bisherigen Form nicht mehr tatenlos hingenommen wird. Ich habe konkret ausgeführt, dass von einer grüngeführten Regierung erwartet wird, dass sie sich energisch dieses Themas annimmt. Sie haben in Ihrer Antwort zunächst sehr allgemein auf die Bedeutung des Freihandels in Europa hingewiesen. Dann haben Sie gesagt, dass sie nicht in die Beratungen des Regionalverbandes eingreifen wollten und könnten. Dies erwartet auch niemand. Diese Aussage geht am Problem vorbei. Der Regionalverband ist gehalten, Flächen für die Rohstoffgewinnung hauptsächlich zu Versorgung der Region auszuweisen. Er muss dann aber erleben, dass gegen seinen Willen und seine Absicht, wertvolle Rohstoffe in Gebiete abfließen und verbraucht werden, für die sie gar nicht vorgesehen sind. So erschöpfen sich die ausgewiesen Ab- baustätten vorschnell zum Schaden für die Region, die heimische Wirtschaft und vor allem zum Schaden der Rohstoffsicherung für künftige Generationen. Meines Wissens nach hat sich der Regionalverband Bodensee-Oberschwaben deshalb bereits hilfesuchend an die Landesregierung gewandt, damit die Abbaumengen begrenzt werden können. Insbesondere soll der Export von Kies und Sand in die Schweiz und nach Vorarlberg reduziert bzw. eingestellt werden. Der Regionalverband hat Ihre Regierung gebeten, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und gegebenenfalls gesetzliche Voraussetzungen dafür zu schaffen. Sollte das Land selbst nicht zuständig sein, so gelte es über den Bundesrat die notwendigen Schritte einzuleiten. Es geht also nicht um einen Eingriff in die Beratungen des Regionalverbandes, sondern genau um das Gegenteil. Der Regionalverband hat dort, wo eine Regelung getroffen werden könnte und müsste keinen Einfluss und keine Kompetenzen. Er hat deshalb die Landesregierung gebeten, endlich tätig zu werden. Sie haben auf meine Frage zum Kiesexport dann gesagt, dass Sie sich mit dem Thema bisher noch weniger befasst haben und angekündigt, dass Sie sich aber jetzt intensiver damit befassen wollen. Genau dies ist der Grund, dass ich mich erneut an Sie wende. Das Thema ist in der Region brandaktuell – vor allem in Zusammenhang mit der Fortschreibung des Regionalplanes der Region Bodensee-Oberschwaben.

Im Regionalplan sind Gebiete für den Abbau oberflächennaher Rohstoffe und Gebiete zur Sicherung von Rohstoffvorkommen auszuweisen. Damit wird geregelt, an welchen Standorten ein Abbau von Kies, Sand oder Festgestein stattfinden kann und welche Gebiete mit Rohstoffvorkommen längerfristig für einen künftigen Abbau freizuhalten sind. Fundiert kann dies nur geschehen, wenn für die kommenden Jahre ein zu erwartender Bedarf festgelegt werden kann. Um dies abschätzen zu können, ist es von zentraler Bedeutung, ob der Bedarf für die Region und allenfalls einige angrenzende Regionen abzudecken ist oder ob wegen der groben Wettbewerbsverzerrungen faktisch noch größere zusätzliche Bedarfe aus Österreich und der Schweiz mit zu beliefern sind. Beide Länder erheben auf die Gewinnung der Rohstoffe in ihren Ländern Abgaben, um die eigenen Rohstoffe zu verteuern und ihre Vorkommen zu schonen. Sie tun dies, obwohl sie wegen der geologischen Bedingungen selbst über markante Vorkommen verfügen. Wenn gefordert wird, dass von der baden-württembergischen Landesregierung dringend etwas unternommen werden sollte, den Abfluss von Rohstoffen ins Ausland zu begrenzen, geht es also vor allem um eine rohstoffpolitische Entscheidung zur langfristigen Sicherung der Rohstoffvorkommen der Region und des Landes.

Wettbewerbspolitisch geht es nicht um eine Einschränkung des Wettbewerbs, sondern um die Herstellung von fairen Wettbewerbsbedingungen. Da es in Vorarlberg und in der Schweiz wohl kaum zu erreichen ist – das wäre auch töricht -, dass dort die Abgaben auf die Rohstoffgewinnung von Kies abgesenkt oder abgeschafft werden, bleibt wohl nur die Möglichkeit, auch in Baden-Württemberg ein Instrument zu schaffen, das Preisgefälle zu nivellieren. Dies hätte auch den Steuerungsvorteil, dass dämpfend auf den Kiesverbrauch eingewirkt würde und der Einsatz von Recycling-Material gefördert würde. Solche Steuerungselemente kennt unsere Wirtschaftsordnung auch in anderen Bereichen (Energie, CO² u.a.) Die Mehrkosten, die dann auch inländischen Nutzern entstehen halten sich in Grenzen. Es muss auch gesehen werden, dass die derzeitige Situation nicht nur Vorteile für die Schweiz und Vorarlberg hat, sondern dass diese Situation vor allem intensiv von der Firma (Maichle und Mohr) ausgenutzt wird. Diese Firma betreibt über ein verschachteltes und kaum zu überblickendes Firmengeflecht den größten Teil des Kiesabbaus in den grenznahen Gebieten der Regionen Bodensee-Oberschwaben und Hochrhein-Bodensee und organisiert den Export. Es wäre vor allem zu prüfen, ob bei der Vergabe von Abbaulizenzen oder durch entsprechende Klauseln in den Pachtverträgen über den Grund und Boden Regelungen getroffen werden können, eine direkte oder indirekte Veräußerung des gewonnen Kieses der Region in die Schweiz und nach Vorarlberg zu untersagen. Das Land Baden-Württemberg hat als Eigentümer etlicher für den Kiesabbau benötigter Flächen hier eine starke Stellung, die bewusst politisch eingesetzt werden könnte. Es kann doch nicht angehen, dass die Eigentümer einer Firma exorbitant von einer Situation profitieren und sich „eine goldene Nase verdienen“ können und dass der Staat dies zu Lasten einer ganzen Region und zukünftiger Generationen tatenlos hinnimmt. Hier sind Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann gefordert, endlich einzugreifen. Eine Recherche in den Dokumenten des Landtages ergibt, dass sich Ihre Landesregierung in der 16 Wahlperiode bisher bereits zweimal zu dem Problem des Kiesexports geäußert hat. In der Drs. 16/6193 wird dargelegt, dass es in den Regionen BodenseeOberschwaben und Hochrhein-Bodensee aufgrund der Erschließung neuer Kiesabbaugebiete großen Widerstand in der Bevölkerung gebe. Insbesondere würden in der Öffentlichkeit die Kiesexporte von Baden-Württemberg in die Schweiz und nach Österreich kritisiert. Es wird dann berichtet, dass in der Raumordnungskommission der IBK ein jährlicher Informationsaustausch zu mineralischen Stoffströmen erfolgen kann. Vor allem bemühe man sich, eine transparente und faktenbasierte Datengrundlage zu schaffen, um die Debatte zu versachlichen. Natürlich sind fundierte Daten immer wichtig. Wenn sich dann aber Untersuchungen monatelang und gar jahrelang hinziehen, bringt dies in der Sache noch gar nichts. Das ist allenfalls eine entfernte Vorstufe für eventuelles späteres politisches Handeln, aber noch kein aktives politisches Handeln. Das Thema wird damit auf die lange Bank geschoben. Zudem gibt es bereits aus Vorarlberg eine sehr gründliche Untersuchung über die Rohstoffströme von Deutschland nach Vorarlberg und im Durchgangsverkehr in die Schweiz. Warum wird diese nicht verwendet? Intensiver hat sich die Landesregierung zum Kiesexport in der Drs.16/872 auf eine kleine Anfrage des MdL Martin Rivoir zu Thema „Kiesabbau und Transport aus der Region Bodensee-Oberschwaben“ geäußert. Die Antwort stammt aus dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft. In der Antwort wird zunächst die Bedeutung einer „nachhaltigen Sicherung und Nutzung von oberflächennahen Rohstoffen für die Wirtschaft und Verbraucherinnen und Verbraucher“ herausgehoben. Dann wird darauf verwiesen, dass nach dem Außenwirtschaftsgesetz „zudem der Güterverkehr und damit auch der Rohstoffverkehr mit dem Ausland grundsätzlich frei“ ist. Es sei „deshalb davon auszugehen, dass Rohstoffe auch dorthin verkauft werden, wo der beste Preis erzielt wird. Eine rechtlich bindende Vorgabe, dass das abgebaute Material in der Region verwendet werden muss“ gebe es nicht Auf die Frage, ob und was die Landesregierung unternehme, um künftig einen Export von Kies und Sand in die Schweiz und nach Vorarlberg zu reduzieren und zu verhindern, wird lediglich angegeben, dass die internationale Bodenseekonferenz (IBK) eine Plattform für Gespräche zu Stoffströmen biete. Besonders bemerkenswert ist die Antwort auf die Frage, ob eine Rohstoffabgabe ein mögliches Instrument zur Steuerung von Rohstoffströmen sein könne. „Die Einführung einer Rohstoffabgabe zur Steuerung von Rohstoffströmen ist ein derzeit verstärkt in der Öffentlichkeit stehendes Thema, das mit komplexen und rechtlichen Fragestellungen verbunden ist und einer intensiven Prüfung und politischen Diskussion bedürfte (sic!). Vor diesem Hintergrund könnten zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussage darüber getroffen werden, welche gesetzlichen Änderungen notwendig wären. Ich halte die bisher von der Landesregierung gemachten Äußerungen zur Frage des Kiesexportes für vollkommen unzureichend.

Vereinfacht ausgedrückt bedeuten sie: wir kennen das Problem, wir reden ein bisschen darüber aber konkret unternehmen tun wir nichts, weil uns auch nicht einfällt, was wir machen könnten und außerdem ist es schwierig, etwas zu machen; außerdem wissen wir noch gar nicht, was wir wollen. Dies ist ein Ausdruck von Politikverweigerung und totalem Politikversagen. Es gibt ein drängendes Problem, wir lassen es aber laufen. Ich möchte nochmals an sie als Ministerpräsidenten einer grüngeführten Landesregierung appellieren, machen sie wahr, was sie in dem Videogespräch angekündigt haben. Befassen sie sich mit dem Thema und nehmen sich endlich des Problems an. Das Ganze ist vor allem eine Sache des politischen Willens. Wenn der klare politische Wille besteht, den Kiesexport zu begrenzen, gibt es auch die Möglichkeit, eine Regelung zu finden. Auf anderer politischer Ebene ist dies mehrmals bewiesen worden. Jahrelang ging nichts beim Ausstieg aus der Kernenergie, dann gab es einen klaren politischen Willen, dies zu ändern und dann ging es. Es ist doch ein Armutszeugnis für ein Ministerium, wenn dieses schreibt, das Problem wirft so schwierige Fragen auf, dass wir uns dazu nicht äußern können. Ja, das Thema mag komplex sein. Aber um dennoch dafür eine Lösung zu finden, dafür ist die Politik und die Ministerialbürokratie doch da.

Aus den dargelegten Problemen heraus ergeben sich einige Fragen, um deren Beantwortung ich Sie im Interesse der Bürgerinnen und Bürger der Region und den kommenden Generationen bitten möchte.

1. Gibt es einen klaren politischen Willen der Landesregierung zur Sicherung der Rohstoffversorgung der Region auch für kommende Generationen sich ernsthaft darum zu bemühen, den nicht geringfügigen Export von oberflächennahen Rohstoffen, insbesondere von Kies, aus den Regionen BodenseeOberschwaben und Hochrhein-Bodensee in die Schweiz und in das österreichische Vorarlberg deutlich zu reduzieren oder einzustellen?

2. Sehen Sie eine Möglichkeit, dies Ziel durch Beratungen und eventuelle Entscheidungen in der internationalen Bodenseekonferenz zu erreichen und wie könnte angesichts der Freihandelsregelungen konkret eine Lösung aussehen?

3. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass das Land in seiner Eigenschaft als Eigentümer von Flächen, die der Kiesgewinnung dienen, durch entsprechende Klauseln in den privatrechtlichen Pachtverträgen mit den Kiesabbauunternehmen einen direkten und indirekten Export von auf diesen Flächen gewonnen Kieses einschränken oder untersagen kann?

4. Sehen Sie eine Möglichkeit, durch Schaffung einer (kommunalen) Rohstoffoder Umweltabgabe einen Ausgleich zu schaffen, um das starke Preisgefälle zwischen dem regional gewonnen Kies und den Kiespreisen in der Schweiz und Vorarlberg derart zu nivellieren, dass eine echte Wettbewerbssituation geschaffen wird. Wird die Landesregierung eine solche Maßnahme ergreifen und bis wann könnte eine solche Regelung geschaffen werden?

5. Sehen Sie sonst irgendeine andere Möglichkeit, den seit Jahren stattfindenden Aderlass von Rohstoffen aus den Regionen Bodensee-Oberschwaben und Hochrhein-Bodensee in die Schweiz und nach Vorarlberg einzuschränken oder zu beenden? Wie könnte diese ausgestaltet werden?

Ich möchte Sie sehr bitten, den vielen Tausend Menschen, die sich in der Region mit diesen Fragen befassen, und natürlich auch den besorgten Mitgliedern des Kreistages des Landkreises Ravensburg zu diesen Fragen eine Antwort zu geben.

Mit freundlichen Grüßen

Rudolf Bindig

 
 

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