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„Die Nazis kamen für die große Masse nicht als Teufel“

Veröffentlicht am 18.05.2013 in Ortsverein

Spaten statt Gewehre: Nicht zuletzt die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen brachten den Nazis Sympathien ein.

Emil Kaphegyi erklärt zum Abschluss der SZ-Serie „Waldsee wird braun“, warum die Nazis so eine breite Unterstützung erfuhren
Bad Waldsee / sz Auf der Basis von Emil Kaphegyis Aufsatz „Das Jahr 1933: Auch Waldsee wird braun“, erschienen 1983 und ein Jahr später in gebundener Form im Buch „Bad Waldsee – Zeugnisse aus Zeit und Zeitung“, hat die SZ in einer vierteiligen Serie den Weg zur braunen Kleinstadt nachvollzogen. Im abschließenden Interview mit Kara Ballarin berichtet Kaphegyi davon, was ihn an der damaligen Entwicklung selbst überrascht hat und wie die breite Akzeptanz der Nazis in der Gesellschaft so „schnell und sauber“, wie er sagt, vonstatten gehen konnte.

Herr Kaphegyi, in unserer Serie haben wir die unterschiedlichen Bereiche beleuchtet, in denen die Nationalsozialisten 1933 in Waldsee die Macht erlangten – politisch, gesellschaftlich sowie im Bereich der Kirche. Steht Waldsee stellvertretend für andere Kleinstädte?

Meine Fragestellung und Absicht war es ja, Waldsee als Musterbeispiel für das Braunwerden und das Vorgehen der NSDAP zu beleuchten. Es gibt kleine Unterschiede. Blickt man nach Schussenried, sieht man zum Beispiel, dass dort sehr früh der Schlossplatz in Hindenburgplatz und die Hauptstraße in Adolf-Hitler-Straße umbenannt wurden. In Waldsee hat sich das Zentrum nicht ganz so krass den Nazis angebiedert. Allgemein aber glaube ich, dass das Vorgehen in Waldsee beispielhaft ist für eine kleine Stadt, vor allem für das katholische Oberland.

Wie Sie betonen, liegt Ihr Interesse gerade in der Anfangszeit, im Emporkommen der Nazis im Frühjahr 1933.

Das ist die spannendste Zeit. Auch Adenauer hat später gesagt: Am Anfang wäre noch etwas möglich gewesen, später nicht mehr. Dass der Umbruch so schnell und geräuschlos passieren konnte, führe ich darauf zurück, dass in Kleinstädten die Kirche einen viel größeren Einfluss auf die Gesellschaft hatte als in Großstädten.

Über die Rolle der katholischen Kirche haben wir im vierten Teil unserer Serie gesprochen. Wie stand es eigentlich um die evangelischen Theologen zu der Zeit?

Dazu habe ich in Waldsee nichts gefunden. In Schussenried gibt es aber das Beispiel einer Fahnenweihe vom 6. Mai 1933 vor scheinbar 8000 Menschen mit einer Messe, in der Pfarrer beider Konfessionen predigten. Dabei wurde die Hakenkreuzfahne von den Pfarrern geweiht, die Hakenkreuzfahne! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Am Ende seiner Predigt endet der evangelische Ortspfarrer mit folgendem Spruch: „So wehe denn, ein Flammzeichen, all denen, die zum heiligen Krieg sich fromm und treu die Hände reichen. Herr Gott, gib du uns Heil und Sieg!“ Und die Predigt endete mit einem dreifachen Sieg-Heil. Der evangelische Pfarrer hat sich schon sehr weit aus dem Fenster gelehnt.

Ihre Recherche stützt sich zum Hauptteil auf die Lokalzeitung „Waldseer Tagblatt“. Wie hat sich die Berichterstattung verändert.

Ich habe mit dem Jahresbeginn 1933 angefangen. Zunächst liest man noch eine Auseinandersetzung mit den Nazis und zum Teil sogar heftige Kritik an der „brutalen Partei“. Am 8. Juli ändert sich das aber radikal. Den Richtungswechsel, den die Redaktion in einem Brief an ihre Leser abgedruckt hat, habe ich in meinen Aufsatz mit aufgenommen (siehe Kasten) . Darin heißt es etwa: „Es war für uns eine Selbstverständlichkeit, uns loyal hinter die nationale Regierung in Reich und Land zu stellen.“

Hätte die Presse als vierte Gewalt, als Kontrollinstanz, denn anders handeln müssen? Und können?

Zum Thema Widerstand könnte man sagen, dass hier sicher eine Möglichkeit gewesen wäre – statt der NSDAP mit fliegenden Fahnen nachzulaufen. Die Presse hätte länger ihre kontrollierende Linie fahren müssen. Aber das ist alles natürlich aus heutiger Sicht gesprochen.

Hat da nicht auch Angst eine Rolle gespielt?

Das sicher auch. Aber das Handeln der Nazis war auch schlicht modern. Sie verfolgten die Motorisierung des Sports. Und es war auch sehr modern, Geld mit vollen Händen für die Wirtschaft auszugeben, um Arbeitsplätze zu schaffen. Sie nahmen die Pläne dafür, die es bereits vor ihnen gab, verkauften sie als ihre Pläne und starteten in Zeiten der Wirtschaftskrise Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, auch hier in Waldsee.

Welche denn?

Sie errichteten Kleingartensiedlugen, eine Stadtrandsiedlung, ließen die Bleiche kanalisieren und den Pfaffenbach tiefer legen, besserten Feldwege und Straßen aus und bauten auch neue, etwa eine Verbindungsstraße zwischen Hittisweiler und Haisterkirch. Das hat auch ganz konkret in Waldsee zur Unterstützung und Akzeptanz der Partei beigetragen. Dazu kam die Propaganda von Goebbels, der für Arbeitsmarktberichte die gleiche Wortwahl nutzte wie für Berichte aus dem Krieg. Ein Beispiel: „Die Soldaten der Arbeit erringen Siege an der Arbeitsfront.“

In ihrem Artikel schreiben Sie nicht nur vom modernen Auftreten der Nazis. Zuspruch gab es doch auch gerade für die konservative Haltung.

Gerade weil die Nazis eine Weile lang Hand in Hand mit der katholischen Kirche marschiert sind, konnten sich auch Konservative für sie begeistern. Sie nutzten dabei Begriffe wie Heimatliebe, Zucht und Sitte. Ein Beispiel ist das Verbot von Jazz-Musik. Der Waldseer Traditionsverein „D’Schloßseer“ dankte dafür, dass nun Schluss sei mit dem „Rumba-Getrampel“. So konnten sich Konservative mit den Nazis identifizieren.

Eine Bewegung der Masse…

Die Nazis kamen für die große Masse nicht als Teufel, sondern als gute Mitbürger, als Kaufmänner und Lehrer. Für die Minderheiten waren sie der Teufel – für die Roten, die kritisch Eingestellten, die Zigeuner und Juden.

In Ihrem Text beschreiben Sie auch ein Beispiel.

Es gab eine Aktion gegen eine kommunistische Familie in Grund. 25 Leute sind von Waldsee dorthin gefahren – davon nur zwei Ortspolizisten, der Rest SA- oder SS-Leute und junge Männer, die dabei sein wollten. Sie haben die Familien überfallen und die Häuser verwüstet. Vier Menschen wurden verhaftet, bis in den Abend verhört und nach Ravensburg weitertransportiert. Das Vorgehen gegen Minderheiten ist typisch und kommt, ganz vorsichtig ausgedrückt, in der breiten Gesellschaft nicht schlecht an.

Daher gab es auch keine Proteste.

Zumindest nicht von der breiten Masse. Auch nicht, als ein kommunistischer Stadtrat in ein Konzentrationslager auf dem Heuberg gebracht wurde. Die Peitsche für die Minderheiten kann gleichzeitig das Zuckerbrot für die Masse sein.

Hätten Sie damals protestiert?

Dazu erzähle ich gerne ein Beispiel: Wir sind 1944 aus Ungarn vor den Russen und dem Krieg geflohen. Kurz vor Karlsbad hat uns die Front eingeholt. Ich war sechs Jahre alt und eines Tages kam mir auf dem Trottoir ein SS-Offizier entgegen. Je näher ich ihm kam, kämpfte ich mit mir, wie ich mich verhalten soll. Als ich bei ihm war, riss ich meinen Arm zum Gruß in die Höhe und rief „Heil Hitler!“ Damals meinte ich, mich richtig verhalten zu haben. Ich weiß nicht, ob ich Widerstand geleistet hätte, das ist eine sehr theoretische Frage. Aber das heißt nicht, gerade für mich als Historiker, dass man heute die damalige Zeit nicht kritisch betrachten kann.

Sie haben sich in ihrem Studium in Tübingen intensiv mit der NS-Zeit befasst. Gab es etwas in ihrer Recherche über Waldsee, das Sie noch überraschen konnte?

Der Umschwung der Bischöfe „quasi über Nacht“, zu sehen in ihrer Verlautbarung von ihrer Synode vom 28. März 1933. Sie nehmen Abstand von ihren früheren Warnungen vor dem Nationalsozialismus und rufen die Gläubigen auf, „Treue gegen die rechtmäßige Obrigkeit zu wahren und auf gewissenhafte Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflichten zu achten. Alles umstürzlerische Verhalten wird abgelehnt.“ Bischof Sproll rief im November 1933 dazu auf, bei der Volksbefragung für den Führer mit „Ja“ zu stimmen. Das hat mich überrascht.

Schwäbische Zeitung 18.5. 2013